„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 29. September 2011

Paul J. Crutzen/Mike Davis (Hg.), Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang, Berlin 2011

(Paul J. Crutzen, Die Geologie der Menschheit, S.7-10 / Michael D. Mastrandrea/Stephen H. Schneider, Vorbereitungen für den Klimawandel, S.11-59 / Mike Davis, Wer wird die Arche bauen? (2008/2009)/2010), S.60-92 / Peter Sloterdijk, Wie groß ist ‚groß‘? (2009), S.93-110)

1. Zur Brauchbarkeit einer Metapher
2. Technik: Teil der Lösung oder Teil des Problems?
3. Wie ignorant ist eigentlich wer?

Sloterdijks Aufsatz „Wie groß ist ‚groß‘?“ (2011/2009) steht am Ende eines kleinen, von Paul J. Crutzen und Mike Davis herausgegebenen Sammelbändchens zur Klimaerwärmung und rundet ihn in gewisser Weise ab. Zugleich gibt Sloterdijk das Thema vor, das auch im Titel des Sammelbändchens erscheint, indem er die Metapher von Buckminster Fuller von der Erde als Raumschiff aufgreift. Diese Metapher ist sehr aussagekräftig, – nicht etwa, wie Sloterdijk meint, hinsichtlich der Situation der Menschheit auf dem von ihrem eigenen Handeln bedrohten Planeten ‚Erde‘. Hinterrücks – nämlich hinter Sloterdijks Rücken und damit entgegen seiner eigenen Intention – sagt diese Metapher vielmehr etwas aus über das Denken von Sloterdijk selbst. Tatsächlich möchte ich sogar behaupten, daß die Metapher vom Raumschiff Erde mehr über Sloterdijks Denken verrät als über das Verhältnis des Menschen zu seinem Planeten.

Die Metapher selbst ist in ihrer Schlichtheit bestechend: ein einsames, zerbrechliches Schiff in der lebensfeindlichen Leere des Weltraums und seine Besatzung, die Menschheit. Die suggestive Wirkung ist enorm. Die Besatzung ist in diesem Szenario unlösbar auf die Lebenerhaltungssysteme ihres Raumschiffs angewiesen. Und ebenso unmittelbar leuchtet ein, daß die Ressourcen in diesem Raumschiff begrenzt sind. So kurz, so ergreifend und so gut. Was macht nun aber Sloterdijk im weiteren daraus? Es folgt ein längeres Zitat:

„Den Passagieren wurde keine Bedienungsanleitung mitgeliefert, vermutlich, weil sie von selber hinter das Geheimnis ihrer Situation kommen sollten. Tatsächlich wird die Erde, soviel wir wissen, seit fast zwei Millionen Jahren von Menschen und Menschenvorläufern bewohnt, ‚die nicht einmal wußten, daß sie an Bord eines Schiffes sind‘.() Anders ausgedrückt: Den Menschen war in der Vergangenheit bei ihren Navigationen ein hohes Maß an Ignoranz zugestanden, da das System auf die Duldung hoher Grade menschlicher Unwissenheit ausgelegt war. Doch in dem Maß, wie die Passagiere anfangen, das Geheimnis der Lage zu lüften und mittels der Technik Macht über ihre Umwelt zu ergreifen, sinkt die anfängliche Ignoranzduldung durch das System ab, bis ein Punkt erreicht ist, an dem bestimmte Formen des unwissenden Verhaltens mit dem Aufenthalt der Passagiere an Bord nicht mehr verträglich sind. Das In-der-Welt-Sein des Menschen, von dem die Philosophie des 20. Jahrhunderts sprach, enthüllt sich somit als ein An-Bord-Sein auf einem störungsanfälligen kosmischen Fahrzeug. Vom aktuellen Blickpunkt aus gesehen, erweist sich die Geschichte des Denkens auf dem Planeten als ein finalisiertes kognitives Experiment, in dessen Verlauf die Wahrheit über die globale Situation ans Licht gebracht werden mußte.“ (Sloterdijk 2011/2009, S.95f.)

An zwei Stellen in diesem Zitat möchte ich in diesem und in den nächsten Posts anknüpfen: erstens verknüpft Sloterdijk, wie übrigens auch schon Fuller, die Metapher vom Raumschiff ‚Erde‘ mit der Frage nach der „Bedienungsanleitung“, und zweitens transportiert er mit der Metapher ein seltsam verkürztes Geschichtsbild der Menschheit, das zwei Millionen Jahre der Evolution darauf reduziert, daß die Menschen bis heute nicht wußten, daß sie sich „an Bord eines Schiffes“ befinden! Wie bedauerlich ignorant! – Auf diesen zweiten Aspekt werde ich im letzten Post noch einmal näher eingehen.

Die Frage nach der Bedienungsanleitung zeigt vor allem eines: daß nämlich Sloterdijk nicht zwischen Lebenswelt und Technologie differenziert, wie wir es z.B. von Blumenberg kennen. (Vgl. meinen Post vom 07.08.2010) Sloterdijk spricht von dem Lebensraum ‚Erde‘, als handelte es sich nicht um eine Lebenswelt, sondern um ein technisches Artefakt, zu deren Bedienung es einer Anleitung bedarf. Liegt diese nicht vor – „weil sie von selber hinter das Geheimnis ihrer Situation kommen sollten“ –, müssen sich die Menschen eben selber eine schreiben. So wird das Raumschiff Erde zu etwas, das wir nur richtig bedienen müssen, um es steuern zu können, – was so ziemlich das Gegenteil von einer Lebenswelt ist. Was bedeutet das nun für das Verhältnis des Menschen zur Welt?

Diese Grundfrage jeder Anthropologie, das Geheimnis des „In-der-Welt-Sein(s) des Menschen“, glaubt Sloterdijk nun ganz einfach beantworten zu können. Es kommt nämlich Sloterdijk zufolge alles darauf an, „auf dem Raumschiff Erde so etwas wie ein globales Stabilisierungsregime“ einzurichten, bei dem man allerdings darauf achten sollte, die „kulturelle Evolution“ nicht zu gefährden, da diese vor allem auf einem „lebbaren Ungleichgewichtszustand“ beruhe. (Vgl. Sloterdijk 2011/2009, S.102) – Das ist es dann aber auch schon, was Sloterdijks Anthropologie an Differenzierungen zum Mensch-Welt- und zum Mensch-Technik-Verhältnis beizutragen hat: Wir haben es bei der Menschheit mit einer Raumschiffbesatzung zu tun, die sich füglich und sorgsam um das „Atmosphären-Management“ (Sloterdijk 2011/2009, S.94) im Inneren dieses Raumschiffs kümmern sollte, anstatt technikverdrossen über dessen Sinn und Zweck zu schwadronieren.

Sloterdijks Auslegung der Raumschiffmetapher beinhaltet eine schicksalsträchtige Verschmelzung von Mensch und Welt und von Mensch und Technik, die der Mensch selbst herbeigeführt hat und die er nun – um seines Überlebens willen – nicht mehr rückgängig machen kann. Zugleich verhindert die Metapher die Einsicht in die Lebensweltlichkeit der Technologie selbst, da sie ja nun die eigentliche Wahrheit des menschlichen In-der-Welt-Seins als ein An-Bord-eines-Raumschiffs-Seins „enthüllt“. Diesen Akt der ‚Aufklärung‘ durch die Raumschiffmetapher verstärkt Sloterdijk noch durch einen impliziten Verweis auf Kants Aufklärungsformel: „Wer an Bord des Raumschiffs den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, legt sich früher oder später Rechenschaft ab über die Tatsache, daß wir Autodidaktiker der Raumfahrt sind.“ (Sloterdijk 2011/2009, S.96) – In der Raumschiffmetapher wird also die eigentliche anthropologische Grundverfassung des Menschen offenbar.

Anstatt aber die Grundverfassung des Menschen zu ‚enthüllen‘, verhüllt Sloterdijks Auslegung der Raumschiffmetapher etwas Entscheidendes, auf das Blumenberg hingewiesen hat. Zwar erkennt Blumenberg an, daß die Technik dazu beigetragen hat, die Lebensverfassung des Menschen zu verbessern; sie ist jedoch weit davon entfernt, dem Menschen einen tieferreichenden Aufschluß über sich und seine Lebenswirklichkeit zu geben. Ganz im Gegenteil ist die Technik so sehr Teil der Lebenswelt des Menschen geworden, daß er durch sie nicht einfach nur neue Freiheitsgrade hinzugewonnen, sondern eben auch entscheidende Freiheiten verloren hat. Sowohl im Denken wie im Tun ist der Mensch so abhängig von der Technik geworden, daß er sich nicht nur nicht mehr ohne sie am Leben erhalten kann, sondern daß er auch zumeist gar nicht mehr weiß, wie die Technik, die er bedient, funktioniert und wie sie ihn am Leben erhält. Der moderne Mensch kann sich von seiner Technik so wenig befreien, wie er sich von seiner Lebenswelt befreien kann.

Der schon von Fuller der Raumschiffmetapher beigefügte und von Sloterdijk in seiner Rede weiter ausgedeutete Aspekt der Bedienungsanleitung suggeriert nun aber, die Technik wäre so steuerbar und so kontrollierbar, wie es die Lebenswelt eben nicht ist. Für Sloterdijk ist die Technik also keine Lebenswelt, denn die Suche nach einer Bedienungsanleitung für die Lebenswelt wäre ja sinnlos. Zugleich aber ist die Technik dennoch der Ort, in dem wir leben, denn sie ist ja das Raumschiff ‚Erde‘. Die Brauchbarkeit der Raumschiffmetapher ergibt sich also erst daraus, daß Sloterdijk einen wesentlichen Aspekt des menschlichen In-der-Welt-Seins, nämlich seine lebensweltliche Verfaßtheit, einfach ignoriert.

Die Brauchbarkeit der Fullerschen Raumschiffmetapher hätte sich aber gerade in ihrer Schlichtheit ohne weiteres ergeben. Erst ihre Ergänzung in Richtung auf eine dazugehörige Bedienungsanleitung verdirbt ihren aufklärenden Effekt. So was hatte schon Blumenberg geahnt, als er mit Bezug auf Hebbel schrieb: „Man möchte fast sagen, die Metapher sei besser als das aus ihr entwickelte Gleichnis.“ (Theorie der Unbegrifflichkeit (2007), S.64)

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