„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 23. November 2011

Plessner und Merleau-Ponty im Vergleich

Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966
Erster Teil: Der Leib: VI. Der Leib als Ausdruck und die Sprache

1. Ähnlichkeiten
2. Unterschiede: Geste, Gebärde und Haltung
3. Unterschiede: Sprache und Sinn
4. Unterschiede: Verhältnisbestimmung von Natur und Kultur
5. Unterschiede: Einheit der Sinne versus leibliche Konfusion
6. Unterschiede: Wandlung versus Differenz
7. Unterschiede: Emergenz versus Gestalt

Gleich zu Beginn des Kapitels macht uns Merleau-Ponty mit seinem Anliegen bekannt, anhand seiner „Deskription der Sprache und des ausdrücklichen Bedeutungsvollzuges“ zu einer „endgültigen Überwindung der klassischen Entgegensetzung von Subjekt und Objekt“ beizutragen. (Vgl. Merleau-Ponty 1966, S.207) Daß es ihm bei einigen Philosophen tatsächlich gelungen ist, entsprechende Allergien zu erzeugen, können wir bei Waldenfels sehen, dem ich zu diesem Thema schon zwei Posts gewidmet habe. (Vgl. meine Posts vom 05.01.2011 und vom 08.01.2011)

So scheint Merleau-Pontys „Phänomenologie der Wahrnehmung“ also im Zeichen der Aufhebung von Differenz zu stehen, während Plessner an ihr festhält. Letzterer spricht in „Lachen und Weinen“ von einem „mangelnden Zutrauen() zur Vernunft“, von einer „Opposition gegen den Cartesianismus“, die „das Zweiseitenmodell des menschlichen Wesens ... gegenstandslos machen will. Sie läßt sich erst gar nicht in die Leib-Seelenproblematik ein, sondern sucht sie als künstliche Schwierigkeit, als unnötige Konstruktion, als Mißverständnis zu destruieren. Sie weicht ihr in Wahrheit aus, indem sie in eine angeblich noch problemlose, ursprüngliche Schicht des Daseins und der Existenz zurückgeht, die sich mit der Schicht des Benehmens, des Verhaltens im Niveau, wenn man so sagen darf, nicht aber in der inneren Struktur deckt.“ (Vgl. Plessner 1950/1941, S.39)

Das „Zweiseitenmodell“, von dem Plessner hier spricht, beinhaltet die „Kluft“ zwischen Innen und Außen. Der „Anticartesianismus“ versucht Plessner zufolge durch Leugnung dieser Differenz  den „Anschein einer ursprünglichen Problemlosigkeit der menschlichen Seinssituation (zu) erzeugen, jedenfalls im Hinblick auf das Verhältnis der Psyche bzw. des Menschen zum Körper.“ (Vgl. ebenda) – Dieser Verweis auf den Anticartesianismus betrifft auch Merleau-Pontys Versuch einer Überwindung der Subjekt/Objekt-Differenz, die sich ja überhaupt erst aus der Innen/Außen-Differenz ergibt. Und es ist ja auch tatsächlich so, daß Merleau-Ponty nun an deren Stelle eine andere ‚Differenz‘ setzt, die man mit Plessner jetzt nur noch als eine Verschleierung der eigentlichen Differenz von Innen und Außen werten kann: die Differenz zwischen einem ursprünglichen und einem sekundären Sprechen, die zur Dekonstruktion des Verhältnisses von Psyche und Körper (Körperleib) führt. Denn was beinhaltet Merleau-Pontys ursprüngliches Sprechen anderes als jene von Plessner angesprochene „ursprüngliche() Problemlosigkeit der menschlichen Seinssituation“? – Es bleibt also nicht viel übrig von den von Plessner vermuteten Konvergenzen zwischen ihm und Merleau-Ponty. Sicher „wird in der Welt mehr gedacht, als man denkt“ (vgl. Plessner 3/1975, S.XXIII); aber es wird auch mehr anders gedacht, als man denkt.

Natürlich werden auch bei Merleau-Ponty Differenzen gesetzt und Grenzen gezogen, nicht nur zwischen dem ursprünglichen und dem sekundären Sprechen, sondern auch zwischen ‚mir‘ und dem Anderen. Diese Differenzen trage ‚ich‘ aber nicht am eigenen Leib, als Differenz in mir selbst und zu mir selbst, denn der Leib ist nicht als Körperleib bestimmt: „es gibt“, wie Merleau-Ponty in seinem Vorwort schreibt, „keinen inneren Menschen ...“ (Vgl. Merleau-Ponty 1966, S.7) – So richtig diese Aussage ist, wenn es um die Suche nach einem Homunkulus in der Mechanik des Körpers geht, der die Fäden in der Hand hält, so falsch ist sie doch, wenn sie beinhaltet, daß es keine Differenz zwischen innen und außen gibt.

So tritt an die Stelle des Plessnerschen „Hiatus“, der unüberwindbaren „Kluft“: der Wandel. Kommunikation wird gleichsam zur Kommunion, zur „Wandlung“ als „Verwandlung meines Seins“ (vgl. Merleau-Ponty 1966, S.218): „Die Kommunikation, das Verstehen von Gesten, gründet sich auf die wechselseitige Entsprechung meiner Intentionen und der Gebärden des Anderen, meiner Gebärden und der im Verhalten des Anderen sich bekundenden Intentionen. Dann ist es, als wohnten seine Intentionen meinem Leibe inne und die meinige(n) seinem Leibe. Die Gebärde, deren Zeuge ich bin, zeichnet umrißhaft einen intentionalen Gegenstand vor. Dieser gelangt zur Aktualität und zu vollem Verständnis, wenn die Vermöglichkeit meines Leibes sich ihm anmißt und mit ihm sich deckt. Die Gebärde tritt mir entgegen gleichwie eine Frage, mich verweisend auf bestimmte sinnliche Punkte der Welt und mich auffordernd, ihr dahin nachzugehen. Die Kommunikation kommt zustande, wenn mein Verhalten in der also angezeigten Richtung seinen eigenen Weg findet. So bestätige in eins ich den Anderen und bestätigt der Andere mich.“ (Merleau-Ponty 1966, S.220)

Hier ist in der Tat nicht mehr von Subjekten die Rede, oder von Medien, über die sie miteinander in Verbindung treten, wie z.B. die Plessnersche ‚Maske‘ oder die soziale Rolle, um die Intimität zu schützen. Vielmehr wohnen die Intentionen des Anderen in meinem Leib, so wie meine Intentionen im Leib des Anderen wohnen, in Form einer Inkarnation, bei der man nicht umsonst an die Verwandlung von Brot und Wein denkt. Über die Plessnersche Kluft hinweg oder vielmehr durch diese Kluft hindurch, als wäre sie schlichtweg nicht vorhanden, verschmelzen die ‚Geister‘ im jeweils anderen Leib. Oder mit Merleau-Ponty: wir gelangen „zur Aktualität“ des „volle(n) Verständnis(ses), wenn die Vermöglichkeit meines Leibes sich ihm (dem intentionalen Gegenstand – DZ) anmißt und mit ihm sich deckt“. (Vgl. Merleau-Ponty 1966, S.219) Wir haben uns also vollständig verwandelt, ohne Differenz und ohne Rest.

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