„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 9. Dezember 2011

Zur Ontologisierung der Lebenswelt

Käte Meyer-Drawe, Leiblichkeit und Sozialität. Phänomenologische Beiträge zu einer pädagogischen Theorie der Inter-Subjektivität, München 3/2001 (1984)
  1. Einseitig fundierte Wechselseitigkeit der Soziogenese und der Ontogenese?
  2. Inter-Subjektivität als Inter-Faktizität
  3. Pädagogischer Sinn und Verantwortung
  4. Naturalisierung des Sinns
  5. Differenz von Sagen und Meinen in der Theorie und in der Kommunikation
  6. Differenz von Gemeinschaft und Gesellschaft
  7. Grenzen der Lebenswelt: Krankheit und Krise
  8. Ambiguität von Häresie und Affirmation 
  9. Phänomenologie als Ontologie
In bezug auf soziales Handeln kommt Meyer-Drawe zu einer interessanten Verhältnisbestimmung, die meine eigene, die individuelle Urteilskraft ermöglichende Verhältnisbestimmung von Naivität und Kritik ins Soziale transformiert: „Die Grenzen des Erklärungswertes sozialer Handlungen durch den Regelbegriff zeigen sich darin, daß es nicht-konventionelles sinnvolles Handeln gibt, etwa dort, wo Regeln allererst übernommen werden. Soziales Handeln ist anzusiedeln in der Ambiguität von Häresie und Affirmation.“ (Meyer-Drawe 1984, S.24) – Hier wird subjektive Naivität zu lebensweltlicher „Affirmation“ und subjektive Kritik zur „Häresie“ gegenüber gesellschaftlichen Normen und Konventionen.

Natürlich stellt sich hier die Frage, worin die Möglichkeitsbedingung für diese Verhältnisbestimmung von Häresie und Affirmation liegt. Die Antwort liegt in der Art und Weise, wie „Regeln allererst übernommen werden“: als faktischer Vollzug in Form einer Inkarnation sozialen Sinns oder als subjektiver Akt aus individueller Perspektive? Eine schlichte, nicht gleich wieder ontologisierende Antwort findet sich in einem Zitat von Merleau-Ponty: „Die ‚einfache Tatsache, daß ein Mensch eine geschichtliche Situation erkennt, deren Bedeutung er für wahr hält, bringt ein Phänomen von Wahrheit ins Spiel, über das kein Skeptizismus Rechenschaft abzulegen vermag, und verbietet uns, den Folgerungen auszuweichen‘.“ (Meyer-Drawe 1984, S.233)

Die ins Soziale verschobene „Ambiguität von Häresie und Affirmation“ ist also sicherlich unter anderem ein lebensweltlicher Vollzug, als einer ersten, dem Subjekt inhärenten Naivität. Darüberhinaus eröffnet aber Merleau-Ponty auch eine andere  Perspektive, in der ein Mensch etwas schlicht und einfach für wahr hält. Dieses für-wahr-Halten setzt sich individuell aus der Wechselseitigkeit von  Naivität und Reflexion (Kritik) zusammen und bildet eine zweite Naivität, über die in der Tat „kein Skeptizismus Rechenschaft abzulegen vermag“. In ihr fällt das Subjekt nicht etwa in eine ursprüngliche Leiblichkeit zurück, es verschwindet auch nicht in irgendwelchen anonymen Vollzügen, sondern es wendet sich lediglich auf seine naiven Intentionen zurück, um sie zu Mitteln seiner individuellen Entscheidungsfindung zu machen.

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