„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 10. Februar 2012

Transparenz versus Wahrnehmung?

Thomas Metzinger, Die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität: Eine Kurzdarstellung in sechs Schritten (http://www.ifzn.uni-mainz.de/Metzinger.pdf)

1. Der Mensch als informationsverarbeitendes System
2. Transparenz und Wahrnehmungsglaube
3. Was heißt ‚interne Quellen‛?
4. Differenz von Vollzug und Reflexion (Naivität und Kritik)
5. Selbstbewußtsein als „Interface“
6. Narrativität und Rekursivität

Metzingers Begriff der Transparenz beinhaltet einige Parallelen zu den Begriffen des Körperleibs und der Lebenswelt, wie ich sie in diesem Blog in zahlreichen Posts immer wieder thematisiert habe, so daß es mir schwerfällt, auf einige bestimmte Posts zu verweisen. Zunächst scheint der Begriff der Transparenz etwas unglücklich gewählt zu sein. Wörtlich bedeutet er ‚Durchsichtigkeit‘, gemeint ist aber ‚Unsichtbarkeit‘: „Transparenz ist eine besondere Form der Dunkelheit. In der Phänomenologie des visuellen Erlebens bedeutet Transparenz, dass wir etwas nicht sehen können, weil es durchsichtig ist.“ (S.22) – Am ehesten wird der Begriff der Transparenz als Durchsichtigkeit verständlich, wenn man an Medien wie Luft oder Wasser denkt, in denen Menschen und Fische sich bewegen und atmen, ohne sie wahrzunehmen. Luft und Wasser sind gleichzeitig so durchsichtig wie unsichtbar.

Metzinger vergleicht die Transparenz auch mit Halluzinationen (vgl.S.24), ähnlich wie Meyer-Drawe die Wahrnehmung (vgl. meinen Post vom 13.01.2012). In einer Halluzination bewegen wir uns ähnlich wie innerhalb einer Lebenswelt mit ihrem Lebensweltglauben, der mit dem leiblichen Weltglauben verschmilzt. Bricht aber die Realität von außen in diese Lebenswelt hinein, so trennt sich die Lebenswelt vom leiblichen Weltglauben oder wird sogar vollständig außer Funktion gesetzt. So auch bei Metzinger. Die Transparenz, in der wir leben und uns im unmittelbaren Kontakt mit der Wirklichkeit wähnen, wird getrübt, wenn sich diese Wirklichkeit zwischen uns und unsere Illusionen schiebt.

Plötzlich wird eine neue Art von Informationen verfügbar, eine Art Meta-Informationen, die uns etwas über die Qualität bzw. die Modalität jener Informationen mitteilt, auf die wir uns bislang so blind verlassen hatten: „Auch auf der Ebene des Erlebens selbst ist jetzt die Information verfügbar, dass Sie nicht auf die Welt schauen, sondern auf einen aktiven repräsentationalen Zustand, der im Moment allem Anschein nach kein gutes Instrument zur Wissensgewinnung ist.“ (S.24)

Mit dem „repräsentationalen Zustand“ ist jene bloß halluzinierte Realität gemeint, an der wir uns bislang orientiert hatten. Damit aber haben wir es bei der ‚wirklichen‘ Realität, die die Halluzination zerstört – die uns aus der Lebenswelt herausfallen läßt –, mit einer seltsamen Information zu tun: nämlich mit einer Information, die anderen Informationen widerspricht. Was aber macht diese Information wahrer als jene? Wieso ‚glauben‘ wir der Information, die uns darüber belehrt, daß eine andere Information falsch ist, mehr als jener? Eine Gegenstandstheorie der Wahrnehmung kann darauf eine Antwort geben: wir glauben der neuen Information, weil sie stört! Weil wir sie nicht kontrollieren können! Weil wir sie nicht gemacht haben!

Wir haben es also bei der Transparenz mit einem Wahrnehmungsglauben zu tun, daß das, was wir wahrnehmen, real ist und daß wir mit dem, was real ist, unmittelbaren Kontakt haben, so wie wir mit uns selbst unmittelbaren Kontakt haben. Diesen Wahrnehmungsglauben beschreibt Metzinger auch als „naiv-realistisches Selbstmissverständnis“: „Wir erleben uns selbst, als wären wir in direktem und unmittelbarem epistemischen Kontakt mit uns selbst.“ (S.24)

Bei Plessner ist dieser Wahrnehmungsglaube in sich gebrochen. Er ist eine „vermittelte Unmittelbarkeit“, weil es beim Menschen als exzentrischer Positionalität keine einfache Unmittelbarkeit gibt. Hier haben wir einen ersten Unterschied zu einer Informationstheorie des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses: Bei Metzinger ist das naiv-realistische Selbstmißverständnis prinzipiell undurchschaubar. Seine Transparenz hält uns unentrinnbar gefangen, weil hier leiblicher Weltglaube und Lebensweltglaube tatsächlich ein und dasselbe sind. Die neue Information, die uns über den illusionären Charakter der vorangegangenen Informationen aufklärt, stellt das Weltverhältnis des Menschen nicht grundsätzlich in Frage. Sie stört nicht grundsätzlich, sondern nur ein bißchen.

Es gibt also nur Simulation und keine Realität, weil jede neue Realität sofort wieder mit dem naiv-realistischen Selbstmißverständnis kontaminiert wird. Ein wenig erinnert mich Metzingers Transparenz an Konrad Lorenzens „Rückseite des Spiegels“ (1973). Metzinger beschreibt die Transparenz auch als „repräsentationalen Träger“ von „repräsentationale(n) Inhalt(en)“. (Vgl.S.23) Repräsentationale Träger sind die Sinnesphysiologie des Körpers und die Neurophysiologie des Gehirns. Mit ihrer Hilfe werden Informationen (Inhalte) transportiert. Ähnlich wie bei Konrad Lorenz die Wahrnehmung die Welt spiegelt, ohne daß wir die nichtspiegelnde Rückseite der Wahrnehmungsprozesse erkennen können, sind die repräsentationalen Träger von repräsentationalen Inhalten transparent, – also selbst nicht wahrnehmbar.

Was in dieser informationstheoretischen Beschreibung des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses nicht zur Sprache kommt, ist der Körperleib und der mit ihm verbundene Weltglaube. Denn der Körperleib bildet die Grundlage der Differenz, des Plessnerschen Hiatus von Innen und Außen, und unterscheidet sich noch einmal von dem Lebensweltglauben. Lägen wir nicht – aufgrund unserer Körperleiblichkeit – mit unserem eigenen Körper im Streit, wäre tatsächlich die Illusion total und es gäbe keine vermittelte Unmittelbarkeit. Da wir uns aber mit unserem Körper im Streit befinden, stören uns Störungen nicht nur ein bißchen, sondern grundlegend, und sind Wahrnehmungsprozesse nicht einfach nur Informationsverarbeitungsprozesse, sondern sie konfrontieren uns mit Gegenständen und mit einer Welt.

Download

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen