„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 11. Juli 2012

Hans Blumenberg, Höhlenausgänge, Frankfurt a.M. 1989

  1. Zurück in die Höhlen? 
  2. Aufgeklärter Nihilismus
  3. Vom ‚Wesen‘
  4. Phylogenese und Anthropologie
  5. Höhlen und Medien
  6. Verstehen von Höhlen
  7. Zur Legitimität der Lebenswelt
  8. Sinnesorgane und ihre Evidenz
  9. Kinästhetik und Intersubjektivität
  10. Pädagogik und Macht
  11. Methode und Selber denken
  12. Narrativität und Montageprinzip
Mit unübertreffbarer Ironie führt Blumenberg die kulturellen und technologischen ‚Fortschritte‘ der Menschheit auf ‚Rückzüge‘ in Höhlen zurück, wenn sie es ‚draußen‘ auf der Erdoberfläche wiedermal zu bunt getrieben hatte und sie vor den Folgen ihres eigenen Handelns zeitweilig Schutz suchen mußte. Blumenberg stellt Höhlen als Rückzugsorte aus den kulturellen Fehlentwicklungen der Menschheit dar, und sie bilden so das Äquivalent zu der Rückstelltaste am Wagenheber, auf deren Notwendigkeit ich in einem Post zu Tomasello zu sprechen gekommen bin. (Vgl. meinen zweiten Post vom 24.05.2011)

Gerade also diejenigen, die Rousseau und seinen scheinbaren Nachfolgern bis hin zu den heutigen Grünen immer gerne wegen ihrer angeblichen Technologiefeindlichkeit – wie viele Trekkies werden wohl unter diesen sein? – vorhielten: „Ihr wollt wohl zurück in die Höhlen!“, bzw. sie dazu aufforderten, dorthin zurückzukehren, sind es, die nach erwiesener Unbewohnbarkeit technologisch gerade noch erreichbarer Nachbarplaneten mit höchstem technologischen Aufwand unterirdische Zufluchtsstätten bauen, um – im Falle des Falles – als Troglodyten ihr eigenes Überleben sicherzustellen. (Vgl. Blumenberg 1989, S.802) Während Rousseau solche Parolen des ‚Zurück‘ tatsächlich niemals aufgestellt hatte, greift sie nun ausgerechnet der sonst so technologiefreundliche Blumenberg (vgl. meinen Post vom 07.08.2010) auf und kehrt sogar den Vorwurf der Fortschrittsfeindlichkeit um auf die Fortschrittsgläubigen selbst, die um des Fortschritts willen ihr Überleben aufs Spiel setzen: „Muß ich so preiswert werden, mit dem Finger darauf hinzuweisen, daß es eine Kulturstufe gibt, auf der ein Fortbewegungsmittel rivalisiert mit der Lust zum Überleben?“ (Blumenberg 1989, S.801)

Beim Lesen von „Höhlenausgänge“ – um dessen Lektüre ich mich lange wegen der verschwiemelten, mit mehrfachen Negationen durchsetzten Schachtelsätze, die sich nicht immer in einen verständlichen und zum Gesamttext passenden Sinn transformieren lassen (und ich habe den Eindruck, ich bin gerade selbst dabei, solche Bandwurmsätze zu produzieren), herumgedrückt habe – sah ich mich dann auch im Anliegen dieses Blogs so bestätigt, daß ich vor einigen Wochen ein Blumenberg-Zitat zum Motto erhob (s.o.).

Ich glaube, ich gehe nicht ganz fehl, wenn ich Blumenberg ebenfalls als vorsichtigen, aufgeklärten Nihilisten bezeichne. (Zum Nihilismus vgl. meine Posts vom 04.04.2011 und vom 07.07.2011) Überleitend zum nächsten Post will ich deshalb diesen Prolog mit einem längeren Zitat beenden: „Plato glaubend wären wir mit dem Besitz der reichgewordenen Wissenschaft noch auf dem Stand theoretischer Ansprüche von Troglodyten, die genug Wirklichkeit am Unwirklichen ihrer Erscheinungen, ihrer Hypothesen, ihrer ‚Paradigmen‘ haben. ... statt dessen haben wir unseren Begriff von Wirklichkeit dem der Schattenprozession angepaßt, Vorhersagbarkeit und Eintreffgenauigkeit zum Kriterium der ‚Konsistenz‘ von Erfahrung zu machen, die eine unüberbietbare Wirklichkeit verbürgt wie den ‚Realismus‘ unseres Verhaltens zu ihr und in ihr absichert. ... Und das Agonale ist geblieben. Im Sport und in der Forschung als kaum angefochtenes Muster der abgeurteilten Daseinskampfformen mit Medaillen und Preisen, die sich der Gunst von Selbstbewußtseinsstärkungsmitteln erfreuen.“ (Blumenberg 2989, S.793f.)

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