„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 30. März 2013

Hanno Charisius/Richard Friebe/Sascha Karberg, Biohacking. Gentechnik aus der Garage, München 2013

1. Faustkeil = Hammer = Atomkraftwerk?
2. Hinzukommendes Selbst oder Zugang zum Selbst?
3. Keine ‚Zurück‘-Taste
4. Bürgerwissenschaft

Mit großem Interesse habe ich das von Hanno Charisius, Richard Friebe und Sascha Karberg geschriebene Buch „Biohacking“ (2013) über einen neuen kultur-technologischen Trend gelesen, der auf biotechnologischer Ebene zu wiederholen scheint, was schon einmal auf informationstechnologischer Ebene in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begonnen hatte: die subversive Aneignung eines von Wissenseliten in Anspruch genommenen Spezialwissens und dessen Transformation in eine Alltagstechnik für Jedermann.

Immer wieder taucht in dem Buch die zum Klischee gewordene „Garage“ auf, in der die damaligen Computerkids für das heutige Internet den Grundstein legten, und denen es die heutigen DIY-Bio-Aktivisten (Do-It-Yourself-Biologie) in ihren Garagen, Küchen, Dachböden und Abstellkammern gleichzutun scheinen. Dabei wird die Vergleichbarkeit zum einen an der Bedeutung des Wortes „Hacking“ festgemacht, bei dem es um das „Zweckentfremden von Technologien“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.68) geht. Die Autoren reihen dieses Hacking in eine lange Tradition des Selbermachens ein: „Kaum eine traditionelle Branche ist sowohl in Amerika als auch in Europa seit Mitte der 90er Jahre so gewachsen wie die der Bau- und Heimwerkermärkte. Selbermachen können ist inzwischen mindestens so angesehen wie sich Fertiges und Angefertigtes leisten können. In den USA hatte sich zudem früh eine spezielle Selbermach-Kultur entwickelt, die besonders durch die Möglichkeiten der Vernetzung im Internet Schwung aufnahm.“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.29)

Zum anderen verweisen die Autoren darauf, daß wie in den Speicher- und Kommunikationstechnologien heute auch in der Biologie, insbesondere in der synthetischen Biologie, der Informationsbegriff im Zentrum steht: „Die entscheidenden Zutaten heißen Wissen, Information, Code. Und darin liegt auch die unwiderlegbare Parallele zur Computertechnologie.“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.12f.) – Insofern besteht der einzige, scheinbar nebensächliche Unterschied zwischen den Computerkids der siebziger Jahre und den heutigen DIY-Bio-Aktivisten, daß sich letztere nicht mit Platinen und Software-Schnipseln befassen, sondern mit den Bausteinen des Lebens.

In diesem Zusammenhang fällt eine Aussage der Autoren zur Qualifizierung von Technologien besonders auf: „Technologie allerdings ist neutral, sie tut nichts Gutes und nichts Schlechtes.“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.248) – Ist das wirklich so? Wird hier nicht jede Technik auf eine gleiche Ebene gestellt und damit allzu sehr simplifiziert, nach dem Motto: Faustkeil = Hammer = Atomkraft? Ist es wirklich so, daß die Technik des Atome Spaltens sowohl zu Atombomben wie auch zu Atomkraftwerken führen kann und nur der Mensch es ist, der entscheidet, ob er sie im ‚guten‘ oder im ‚schlechten‘ Sinne verwendet?

Günther Anders hat schon früh Zweifel daran angemeldet, daß die Technik des Atome Spaltens in diesem Sinne wertneutral sein könne. (Vgl. meinen Post vom 26.01.2011) Schon die Fähigkeit dazu überschreitet die moralische Kraft des Menschen und korrumpiert ihn im Innersten. Vollends hat die Atombombe – also die ‚schlechte‘ Alternative zu den Atomkraftwerken – jede weitere Technologieentwicklung, so Günther Anders, unter Korruptionsverdacht gestellt.

Hans Blumenberg hat darauf hingewiesen, daß die Technik inzwischen so sehr zum Bestandteil der menschlichen Lebenswelt geworden ist, daß sie unsichtbar geworden ist. (Vgl. meinen Post vom 07.08.2010) Diese lebensweltliche ‚Unsichtbarkeit‘ bedeutet ein weiteres Problem hinsichtlich ihrer Beherrschbarkeit bzw. Kontrollierbarkeit. Was Teil der Lebenswelt geworden ist, ist ‚natürlich‘ geworden; d.h. es macht uns vergessen, daß wir es gemacht haben. Es scheint, um ein Lieblingswort der Kanzlerin zu verwenden, ‚alternativlos‘ geworden zu sein.

André Leroi-Gourhan verweist darauf, daß das Wesensmerkmal des Menschen nicht so sehr in seiner zerebralen, also letztlich informationstechnologisch beschreibbaren Intelligenz liegt, sondern vielmehr in einer Verbindung aus haptisch-visuellen und akustischen Sinnesleistungen. (Vgl. meinen Post vom 08.03.2013) Diese Sinnesleistungen sind in ein die Welt mit dem Selbst verbindendes Relationsfeld eingebunden. In diesem Relationsfeld aus Hand und Gesicht und Stimme und Gehör äußert sich die Intelligenz des Menschen vor allem über sein Verhalten. Die menschliche Intelligenz ist also hand- und umweltbezogen. Fällt die Hand aus diesem Selbst- und Weltverhältnis des Menschen weg, weil zunehmend Werkzeuge an ihre Stelle treten und der Mensch letztlich nur noch Knöpfe, Tastaturen und Touchscreens zu bedienen braucht, können wir dem Menschen, so Leroi-Gourhan, nicht länger die Gattungsbezeichnung ‚sapiens‘ zuordnen.

Das ist übrigens genau der Grund, warum Bau- und Heimwerkermärkte so einen großen Erfolg haben. Die Menschen wollen einfach wieder ihre Hände benutzen. Dieses Bedürfnis ist zutiefst im menschlichen Wesen begründet.

Technik ist also niemals neutral. Sie verändert das Verhalten des Menschen, und was das Verhalten des Menschen verändert, verändert den Menschen selbst. Wenn die Autoren also die „positive gesellschaftliche, individuelle Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten fördernde, Autoritäten kontrollierende, demokratisierende Kraft“ der „Computer- und Web-Technologie“ hervorheben (vgl. Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.13), so bewegen sie sich doch sehr an der Oberfläche einer technologischen Entwicklung, deren Ende wir noch gar nicht absehen können und für deren summarische Beurteilung es noch viel zu früh ist.

Man sollte zumindestens zwischen den Auswirkungen auf Erwachsene und Heranwachsende differenzieren. Während die biologische Entwicklung des Erwachsenen weitgehend abgeschlossen ist, befinden sich die Heranwachsenden entwicklungsbiologisch und entwicklungspsychologisch in einer äußerst prekären Situation. Vieles spricht dafür, daß die Heranwachsenden in ihrer Kindheit und Jugend die Basis für ein gesundes und erfüllendes Erwachsenenleben legen, bis ins Alter hinein. Ob die „Computer- und Web-Technologie“ dafür eine „hinreichend qualifizierte sapiens-Situation“ bietet, wie sich Leroi-Gourhan ausdrückt, darf bezweifelt werden.

Auch die DIY-Bio-Bewegung wendet sich nicht einfach einer wertneutralen Technologie zu. Wenn ich mir zeitweise beim Lesen des Buches und der darin beschriebenen Motive von DIY-Bio-Aktivisten selbst wie eine Art Hacker vorkam, der auf seiner Ebene, dem Lesen und Besprechen von Büchern, also des Aneignens und Zweckentfremdens von freiverfügbarem Gedankengut, Wissen zum eigenen Weiterdenken für alle zugänglich macht, so ist der Unterschied zwischen Gedanken-Hacken und Biohacking letztlich doch offensichtlich. Zum selbständigen Denken gibt es keinen „Dual Use“. (Vgl. Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.103)

Ob jemand sein Denken so oder anders ‚verwendet‘, schadet niemandem. So wenig wie es irgendjemandem schadet, wenn Hobbybotaniker oder Hobbyastronomen mit ihrem Wissen nicht verantwortungsvoll umgehen. Für dieses Denken und Wissen ist jeder vor sich selbst verantwortlich und vor niemandem sonst. Wer sich aber mit den Bausteinen des Lebens befaßt, hat seinen Mitmenschen gegenüber eine ungeheure Verantwortung. Dabei stellt sich weniger die Frage nach dem ‚guten‘ oder ‚schlechten‘ Gebrauch der Biotechnologien, als vielmehr die Frage, die schon Günther Anders hinsichtlich der Atomspaltung gestellt hatte: sind wir dieser Verantwortung gewachsen?

Es kann hier nicht einfach nur darum gehen, daß ein neues Hobby wie DIY-Bio ‚Spaß‘ macht und daß die Leute, als freie Bürger, wie die Autoren schreiben, ein Recht auf diesen Spaß haben, weil sie „nichts anderes tun, als sich etwas anzueignen, was ihnen ohnehin gehört: eine Technologie, deren Entwicklung sie als Steuerzahler weitgehend mitfinanziert haben.“ (Vgl. Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.210)

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