„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 1. April 2013

Hanno Charisius/Richard Friebe/Sascha Karberg, Biohacking. Gentechnik aus der Garage, München 2013

1. Faustkeil = Hammer = Atomkraftwerk?
2. Hinzukommendes Selbst oder Zugang zum Selbst?
3. Keine ‚Zurück‘-Taste
4. Bürgerwissenschaft

Zu den beeindruckendsten Stellen des Buches gehören für mich neben den Ausführungen der Autoren zur Bürgerwissenschaft die Bemerkungen zu Craig Venters Projekt, „Mikroben mit Minimalgenom“ herzustellen: „Venters Mikroben mit echtem Minimalgenom wären das reduzierteste Leben überhaupt.“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.73) – Allein diese Vorstellung läßt mir die Härchen im Nacken sich aufrichten: etwas anders verortete „Härchen“ als jene, die sich „an den Unterarmen“ der Autoren aufrichteten, angesichts der von ihren Unterarmen nicht weit entfernt in klammen Fingern gehaltenen Schnapsbecherchen, in denen sie einiger Schnipsel ihres Genmaterials ansichtig wurden. (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.25)

Die Vorstellung, das Leben reduzieren zu können, hat in der Tat etwas Magisches. Aber wie Fans der Fantasy-Literatur wissen, gibt es eine weiße und eine schwarze Magie. Oder um direkt Tolkien-Fans anzusprechen: es gibt Gandalf und Sauron. Die Perspektive, das Leben zu reduzieren, um es dem Willen des Menschen zu unterwerfen, markiert eine Grenzlinie, die die Autoren des Buches selber thematisieren, indem sie einen der Bio-Ingenieure eine kleine Geschichte erzählen lassen, die ich hier wiederholen möchte:
„Kennen Sie die Geschichte von dem Biologen und dem Ingenieur, die beide morgens ins Labor kommen und an ihrem über Nacht gelaufenen Experiment feststellen, dass das System, das sie untersuchen, doppelt so kompliziert ist wie ursprünglich angenommen? Der Biologe sagt: Klasse, ich schreibe einen Artikel darüber. Und der Ingenieur sagt: Mist, wie kann ich diese zusätzliche Komplexität loswerden?“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.70)
Kurz gesagt: der Biologe wäre ein Vertreter der weißen Magie, also Gandalf, und der Vertreter der schwarzen Magie wäre der Ingenieur, also Sauron. Gandalf erforscht die Hobbits, weil er das Auenland liebenswert findet. Saruman und Sauron finden sie einfach überflüssig und letztlich vor allem störend.

Aber man sollte an dieser Stelle vielleicht nicht allzu sehr vereinfachen, obwohl, wie wir sehen, gerade Ingenieure sehr viel für Vereinfachungen übrig haben. Immerhin wird diese Geschichte von einem Ingenieur erzählt und zeigt, daß der Sachverhalt etwas diffuser und – natürlich! – komplexer ist. Immerhin durchdringen sich hier biologische, technologische und eben auch medizinische Interessen. Wenn es darum geht, häßliche, bislang unheilbare Erbkrankheiten heilbar zu machen, kann man eigentlich nicht wirklich etwas gegen Biotech haben. Aber wenn es darum geht, Schnitzel mit Bananengeschmack zu produzieren, wie es sich manche Biohacker erträumen, bekomme ich Würgereflexe und beginne nun meinerseits davon zu träumen, mich ins Auenland zurückzuziehen oder den Amish-People anzuschließen.

Ein anderer Autor, Olaf Fritsche („Die Neue Schöpfung“ (2013)), verweist darauf, daß die Menschen bei der Züchtung ihrer Haustiere noch nie sonderlich rücksichtsvoll vorgegangen sind. Er kann sich vorstellen, daß sie die gentechnischen Methoden z.B. dazu nutzen, Katzen in krallen- und zahnlose, schnurrende Kuschelkissen zu verwandeln: „Wäre das Tierquälerei? Ganz sicher! Bloß lassen wir Menschen uns erfahrungsgemäß nicht gerne durch Skrupel von der Erfüllung unserer Wünsche abhalten, wenn die Sehnsucht erst einmal geweckt ist. Das mussten unter anderem bereits Katzenrassen erfahren, die taub sind, denen der Schwanz fehlt, deren Ohren geknickt sind oder die ihr Leben lang vollkommen ohne Fell und Tasthaare auskommen müssen. Munchkin-Katzen haben sogar stark verkürzte Beine und befinden sich damit schon auf dem halben Weg zum Schnurrkissen.“ (Fritsche 2013, S.65f.)

Das gewichtigste Argument für eine moralische Herangehensweise an das Thema steckt in einer weiteren Bemerkung der Autoren, die die Grenze zwischen Biologie und Informatik noch treffender auf den Punkt bringt als die verschiedenen Grundeinstellungen von Biologen und Ingenieuren: „Wenn man sich beim Mischen der Zutaten für ein Experiment vertan hat, kann man nie auf die ‚Zurück‘-Taste drücken.“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.38)

Software-Programmierer können, wenn sie einen Fehler gemacht haben, die Escape-Taste drücken und dann in aller Ruhe nach dem Fehler im Programmcode suchen. In der Biologie ist das anders: „Wenn ein molekularbiologisches Experiment nicht funktioniert, sieht man erst einmal gar nichts. Man muss es wiederholen, noch pingeliger sein und hoffen, dass es diesmal klappt. Wenn sich auch dann kein Erfolg einstellt, muss man durch weitere Experimente versuchen, den Fehler zu finden. Computern neue Tricks beizubringen ist jedenfalls bislang noch um Dimensionen einfacher als lebenden Zellen.“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.38)

Daß es in der Biologie, bislang, noch keine Rückstelltaste gibt – man arbeitet daran: etwa bei der Wiedererschaffung von Mammuts –, beinhaltet verschiedene Aspekte, die hier im Unterschied zur Softwareprogrammierung berücksichtigt werden müssen. Zunächst einmal ist es für jeden ohne weiteres einsehbar, daß das Fehlen einer Rückstelltaste nicht nur auf der Ebene der Manipulation von Mikrobengenen Schwierigkeiten bereitet. Das Schaffen neuer Mikrobenarten wirkt sich selbstverständlich auch auf unseren Lebensraum, auf die Ökologie aus, egal wie vorsichtig die Experimenteure vorgehen. Für die Prozesse, die wir hier in Gang setzen, besitzen wir ebenfalls keine Rückstelltaste.

In den neunziger Jahren habe ich mich angesichts der von Computern generierten künstlichen Welten mit der Frage beschäftigt, wie man virtuelle Welten von der realen Welt unterscheiden kann. Ich kam zu dem Schluß, daß der wesentliche Unterschied zwischen virtuellen Welten und realer Welt darin besteht, daß sich das, was sich in der Wirklichkeit abspielt, nicht rückgängig machen läßt. Und daß dies genau der Grund ist, warum wir die Verantwortung für unser Handeln übernehmen müssen.

Nur die Denkfreiheit ist unbegrenzt, nicht aber die Handlungsfreiheit.

Softwareprogrammierer bewegen sich im Bereich der Denkfreiheit. Sie haben eine Rückstelltaste. Wetwareprogrammierer bewegen sich im Bereich der Handlungsfreiheit. Sie haben keine Rückstelltaste. Also haben sie eine Verantwortung und sind ihren Mitmenschen gegenüber rechenschaftspflichtig.

Die Autoren selbst nehmen immer wieder zum Thema Verantwortung und Biohacker-Ethik Stellung. Die Euro-Hacker haben hierfür – das muß anerkennend festgehalten werden – auch eine gewissen Sensibilität. Bei den Ami-Hackern firmieren aber entsprechende Versuche, ein gemeinsames Protokoll im Umgang mit der Biotech zu verabschieden, unter „German Vorsicht“. (Vgl. Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.213-242)

Das Problem mit der fehlenden Rückstelltaste hat übrigens bei den Hindus und Buddhisten zum Konzept des Karmas und bei den Christen zum Konzept der Erbsünde geführt. Es ist letztlich doch der Unterschied zwischen Gandalf und Sauron. Gandalf übernimmt Verantwortung. Sauron will nur herrschen. Und wie Gandalf immer wieder gerne betont: das Herrschenwollen beginnt ganz harmlos. Zunächst will man meistens nur Spaß haben. Am schlimmsten aber sind Gandalf zufolge am Ende die, die am Anfang nur Gutes zu tun gewollt hatten.

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