„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 29. April 2013

Norbert Bolz, Das Gestell, München 2012

1. Elliptische Argumentation
2. Blumann und Luhmenberg
3. Konvergenz statt Interdisziplinarität
4. Benutzerillusionen
5. Rückkopplung: positiv?
6. Gesellige Technik
7. Körperleibvariationen
8. Der Unternehmerführer

In Analogie zu Günther Andersens „Antiquiertheit des Menschen“ spricht Norbert Bolz von der „Antiquiertheit seines Leibes“ (Bolz 2012, S.94) und löst damit die Einheit des Körperleibs (vgl.u.a. meinen Post vom 14.07.2010) in eine analoge und eine digitale Komponente auf: „Die moderne Fundamentalunterscheidung von analog und digital geht quer durch den Menschen hindurch. Das Zentralnervensystem und die Erbinformation sind digital, der Rest der Physiologie ist anlog. Der Mensch zerfällt also in Physiologie und Datenverarbeitung.“ (Bolz 2012, S.94)

Auf die antiquierte, weil bloß analoge Physiologie kommt es künftig nicht mehr an. An dessen Stelle tritt ein digitalisierter „Phantomleib“ aus „Institutionen“ und „Techniken“ (vgl. Bolz, S.41), ähnlich den „Phantomen“, wie sie schon Günther Anders mit den Informationstechnologien der 50er Jahre assoziierte (vgl. meinen Post vom 23.01.2011). Der antiquierte Leib wird über „Trainingsprogramm(e)“ und „Testreihen“ in einen „Kollektivleib“ transformiert (vgl. Bolz 2012, S.104), was nicht von ungefähr an Sloterdijks Buch „Du mußt Dein Leben ändern“ (2009) erinnert, in dem es ja ebenfalls um ‚Techniken‘ der Verhaltensänderung geht, mit denen die Menschen die verhaltensändernden Techniken lediglich nachvollziehen, anstatt ihnen Sinn gebend gegenüber zu treten. (Vgl. meinen Post vom 30.09.2011)

Diesen Kollektivleib beschreibt Bolz auch schon mal als „bewertende(s) Volk“, das „unermüdlich (ist) im Linking, Tagging, Bookmarking und der Erstellung von Playlists“, ein ‚Volk‘, dem er eine kommunikative „Intelligenz“ zuspricht (vgl. Bolz 2012, S.113), ohne daß ihm dabei das Wort ‚Schwarmintelligenz‘ einfällt. (Zur Schwarmintelligenz vgl. meine Posts vom 02.08. bis 05.08.2011 und vom 16.08., 22.08., 23.08., 27.08.2011) Es klingt allemal vornehmer, stattdessen von der „Herausbildung einer neuen Doxa“ zu sprechen, „die in Konkurrenz zum Expertenwissen tritt“. (Vgl. ebenda)

Mit der ‚Doxa‘ der sozialen Netzwerke, also der naiven, unreflektierten Meinung, ist Bolz zufolge das intuitive Urteil – nach wie vor vermeidet er den Begriff der Schwarmintelligenz – ‚berechenbar‘, also simulierbar geworden. (Vgl. Bolz 2012, S.81) Mittels auf „Popularitätsalgorithmen“ basierenden Suchmaschinen wird die Intelligenz modellierbar: „Wenn der Informationsraum und die Beteiligung der Nutzer nämlich groß genug sind, kann man Suchen nicht mehr von Kreativität unterscheiden.“ (Bolz 2012, S.113)

Vergebens sei es, so Bolz, ein „spezifisch menschliche(s) Vermögen wie ‚Urteilskraft‘ “ retten zu wollen. (Vgl. Bolz 2012, S.10) – Der Körper bildet nicht mehr den Erfahrungsraum menschlicher Selbst- und Weltorientierung, sondern nur noch das Innervationsmilieu der Techniken, die sich ihm einverleiben. Von nun an gilt: „Nicht die Grenzen meines Körpers, sondern die Grenzen meiner Geräte sind die Grenzen meiner Welt.“ (Bolz 2012, S.105)

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