„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 21. Mai 2014

Ariadne von Schirach, Du sollst nicht funktionieren. Für eine neue Lebenskunst, Stuttgart 2014

(Klett-Cotta, Tropen Sachbuch, 184 S., 17.95 €)

1. Kultur, Verantwortung, Genuß
2. Vom Terror des Bildes
3. Menschen und Märkte

In diesem Blog ist bisher aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln vom ‚Bild‘ die Rede gewesen. Für den einen Blickwinkel stehen die Namen von Günther Anders (vgl. u.a. meinen Post vom 23.01.2011), Friedrich Kittler (vgl. u.a. meinen Post vom 12.04.2012) und Lambert Wiesing (vgl. meinen Post vom 05.06.2010), die vor allem die zweidimensionale Flachheit von Bildern und den damit einhergehenden, durch die Illusion der Zentralperspektive kaschierten Verlust der Perspektive thematisieren. Anders und Kittler steigern diesen Befund zu einer Kritik (Anders) an bzw. zur Affirmation (Kittler) der durch technische Medien der Bilderzeugung ermöglichten Täuschung des Menschen über seine Realität. Beide heben hervor, daß der Mensch aufgrund der sinnlichen Farbigkeit bildlicher Darstellungen, nach dem Motto: sehen heißt glauben, dazu neigt, diese Darstellungen für getreue Abbildungen der Realität zu halten.

Für eine andere Bewertung des Bildes steht Leroi-Gourhan, der sogar von einer Dreidimensionalität der Bilder spricht, die er der Eindimensionalität der linearen Alphabetschrift entgegenstellt. (Vgl. Leroi-Gourhan 1980 (1964/65), S.246; vgl. auch meine Posts vom 01.03. und vom 02.03.2013) Diese ‚Dreidimensionalität‘ der eigentlich nur zweidimensionalen Bilder wird verständlich, wenn man bedenkt, daß sich Leroi-Gourhan u.a. mit Höhlenbildern beschäftigte und diese dem Betrachter, ähnlich dem Panoramabild von Werner Tübke in Bad Frankenhausen, eine räumliche Rundumperspektive bieten, in der die strukturellen Bezüge zwischen den Bildelementen sich nicht nur in der Fläche ausbreiten, sondern den Betrachter von den ihn umgebenden Wänden her und von der Höhlendecke herab ‚angehen‘.

Interessanter Weise gibt es auch in der Hieroglyphenforschung einen vom Informatiker Sergio Busato stammenden Ansatz, demzufolge sich verschiedene Hieroglyphen überlagern können, so daß unabhängig voneinander existierende Bilder entstehen. die räumlich gelesen werden können, also perspektivisch mal mit dem einen, mal mit dem anderen Auge, während man das jeweils andere Auge geschlossen hält. (Vgl. DLF, Forschung Aktuell, vom 11.07.2008) Irgendwie erinnert Busatos Ansatz an eine frühgeschichtliche Form der 3D-Projektion. Jedenfalls stärkt das Leroi-Gourhans These von der Dreidimensionalität nicht nur der Höhlenmalereien, sondern auch der Bilderschrift.

Wenn Ariadne von Schirach vom „Terror des Bildes“ spricht (vgl. von Schirach 2014, S.104), so ist klar, daß sie sich hier vor allem in die Theorietradition von Günther Anders und Friedrich Kittler stellt. Im Zentrum steht dabei vor allem die mit der Flachheit des Bildes verbundene Perspektivlosigkeit einer von digitalisierten Bildern mediatisierten Welt: „Körper, die sich in Bilder verwandeln, werden mit der Zeit flach, als fehlte ihnen die dritte Dimension.“ (von Schirach 2014, S.33)

Ein ‚Terror‘ ist damit verbunden, weil mit der Flachheit der medialen Bilderwelten – die auch dann noch ‚flach‘ bleiben, wenn Computerinterfaces einmal zur 3D-Projektion fähig sein sollten – ein Verlust an Innenweltlichkeit einhergeht. Die Differenz zwischen innen und außen verschwindet: „Das ideale Äußere unserer Tage ist also nicht mehr ein Verweis auf mögliche innere Werte. Es ist ein innerer Wert an sich. Und so fragt sich, was mit den echten inneren Werten geschieht, wenn die ganze Energie dafür draufgeht, so auszusehen, als hätte man welche.“ (von Schirach 2014, S.28)

Wenn man an Plessners ‚Seele‘ und ihrem „noli me tangere“ denkt, die sich nie einfach nur ‚zeigt‘, sondern im Zeigen immer auch verbirgt, wird verständlich, warum von Schirach mit den Bildern eine „Pornographie“ assoziiert. (Vgl. von Schirach 2014, S.17) Der Facebook-Mensch, der seine digitale Pinnwand mit täglichen Schnappschüssen aus einem eigentlich belanglosen und uninteressanten Leben tapeziert, der „Tapetenmensch“, wie von Schirach schreibt, ‚stellt‘ sein Leben ‚aus‘, eine ‚Prostitution‘ im Wortsinne: „Man stellt sich ja nicht mal mehr dar, sondern man stellt sich aus, als Bild, dessen Inhalt nur noch in seiner Oberfläche liegt. ... das Spiel verschwindet, wenn alles nur noch das ist, was sich zeigt.“ (von Schirach 2014, S.171)

Das erotisierende Spiel mit „Nähe und Entzug“, mit „Verbergen und Offenbaren“, mit „Absicht und Verschleierung“ (vgl. von Schirach 2104, S.171), in dem sich Menschen begegnen, finden und wieder trennen – eben jenes „noli me tangere“ –, verliert mit der „Bildproduktion fürs Internet“ seine für dieses Spiel konstitutive innere, zur Kritik befähigende Distanz. (Vgl. von Schirach 2014, S.32)

Was die flachen Bilder mit ihrer fehlenden Perspektive so falsch macht, ist die mit eben dieser Perspektivlosigkeit einhergehende „Eindeutigkeit“ und „Überschärfe“, die, so von Schirach, „zumindest teilweise den Zooming-Praktiken zeitgenössischer Pornoproduktionen geschuldet ist“. (Vgl. von Schirach, 2014, S.33) Was diesen überscharf gezoomten Selbstportraits fehlt, bezeichnet von Schirach mit an Plessner geübtem Blick mal als ‚Schwere‘, mal als ‚Tiefe‘. Es ist die aus dieser inneren Körpertiefe kommende „ethische Wucht“ des „echten Blick(s)“, die das Gegenüber – neudeutsch: face to face – mit der Nase auf die Tatsache drückt, daß er es hier mit einem „bewohnte(n) Körper“ zu tun hat. (Vgl. von Schirach 2014, S.45) Wo sich das zweidimensionale Bild mit seiner augenblickshaften Verflachung und Stillstellung von Pseudoerlebnissen und Pseudowahrnehmungen widerstandslos und anspruchslos den Klischees unserer digitalisierten Kommunikation anpaßt, wird die „Schwere“ des Körperleibs mit seiner „begrenzten Aufmerksamkeit“ zur „Sollbruchstelle“. (Vgl. von Schirach 2014, S.46) Anstatt mit unbegrenzter Unruhe von Bild zu Bild zu wechseln, bricht sich der Sehstrahl an unseren unbefriedigt bleibenden Bedürfnissen, in denen sich das Leben vollziehen will, – „da kann man noch so viel optimieren“. (Vgl. von Schirach 2014, S.47)

Das Fehlen der Perspektive in den flachen Bildern, die wir selbst sind, die fehlende Distanz zu uns selbst in unserer äußeren Darstellung, macht uns abhängig vom Blick der Anderen, die allerdings auch keine Perspektive beisteuern, die unserem Selbstbild Tiefe verleihen könnte: „Die Straßen der großen Städte sind voll von lebenden Bildern, die auf Blicke lauern und Blicke fordern, wie sich die Pinnwände der sozialen Netzwerke mit Fotos bevölkern, die geliked werden wollen oder kommentiert.“ (von Schirach 2014, S.111)

Im geliked werden Wollen steckt das tiefe Bedürfnis nach einer Antwort, einer rekursiven Dynamik des „Ich weiß, daß Du denkst, denn ich sehe es in Deinem Blick“, in dieser „ethischen Wucht“, wie von Schirach es nennt. In den Bildern aber, die wir ausstellen, prostituieren wir uns nur und vernichten genau das, worum es in ihnen geht: uns selbst.

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