„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 24. Juni 2014

Al Gore, Die Zukunft. Sechs Kräfte, die unsere Welt verändern, München 2014

(Siedler Verlag, 624 S., 26.99 €)

(Einleitung, S.11-31; Die Welt AG, S.35-76; Das Weltgehirn, S.81-131; Machtfragen, S.135-193; Auswüchse, S.197-272; Die Neuerfindung von Leben und Tod, 277-370; Am Abgrund, S.375-476; Schluss, S.479-496)

1. Unternehmenspersonen
2. Die Natur des Menschen
3. Die „Weisheit der Menge“
4. Geschichtsverläufe

Wenn Al Gore den Unterschied zwischen Unternehmenspersonen und Individuen an der Sterblichkeit der Individuen festmacht (vgl. Gore 2014, S.161), so steckt darin der Ansatz zu einer Anthropologie, in der das Verhältnis des Individuums zu seiner Sterblichkeit thematisiert wird. Ein Individuum, das um seine Sterblichkeit weiß, ist gezwungen, sich dazu zu verhalten, und das heißt: seinem Leben einen Sinn zugeben. Damit aber befinden wir uns auf der Ebene des Plessnerschen Körperleibs. Gore verknüpft die Sinnfrage mit dem Generationenverhältnis. Sterbliche Individuen, so Gore, machen sich „Sorgen um die Zukunftsaussichten“ ihrer Kinder und Enkel.

Dennoch gelingt es Gore nicht, dieses Niveau zu halten. Schon bei der Bestimmung des Potentials, den der Werkzeuggebrauch für die menschliche Natur hat, fällt ihm nicht mehr ein, als daß alle Technik irgendwie eine Schaufel und deshalb ethisch neutral sei. (Vgl. Gore 2014, S.74; vgl. auch meinen Post vom 21.06.2014) Auch in dem aktuellen Kapitel, mit dem ich mich hier befasse, beschränkt sich Gore darauf, sich pauschal auf die Forschung von „Neurobiologen und Psychologen“ zu berufen, die, wie er behauptet, erwiesen habe, daß die in allen Ländern verbreitete politische Unterscheidung zwischen ‚links‘ und ‚rechts‘ zum Teil „in der Natur des Menschen angelegt“, also genetisch bedingt sei: „Die aktuelle Forschung zeigt, dass diese Unterschiede teilweise auch genetisch bedingt sein könnten, wichtiger ist in diesem Zusammenhang aber vielleicht, dass die Unterschiede von sozialen Feedbackschleifen verstärkt werden.() Das Problem der Ungleichheit liegt auch auf der ideologischen Verwerfungslinie zwischen Demokratie und Kapitalismus.“ (Gore 2014, S.171)

So vorsichtig sich Gore auch ausdrückt und sogar eigens nochmal auf „soziale Feedbackschleifen“, also auf eine biologisch-soziale Wechselbedingtheit dieser politischen Orientierungen hinweist, bleibt letztendlich doch die Aussage, daß die politischen Differenzen zwischen Republikanern und Demokraten in den USA irgendwie auch genetisch bedingt sind. Solche Wischiwaschi-Aussagen mögen alles mögliche sein, – um ernsthafte politische Analysen handelt es sich dabei jedenfalls nicht. Bei der Politik haben wir es mit einem menschlichen Verhalten zu tun, das auf gesellschaftlicher Ebene das Verhältnis des Menschen zu seinen Mitmenschen und zu seinen Nachkommen zu klären und zu organisieren versucht. Es geht um Sinngebung und nicht um Genetik.

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